Dienstag, 24. Januar 2017

Auf Kriegsfuß mit dem Grußfuß


Guten Tag

Ich weiß ja nicht, wie es Euch geht, aber ich hab da mal 'n Problem, das mich seit meiner Kindheit verfolgt und auf das ich in fast vier Jahrzehnten keine abschließende Antwort gefunden habe. Die Frage lautet: Warum klappt das nicht mit dem Grüßen?

Dazu muss man wissen, dass wir Kinder in einem Neubaugebiet etwa zwei Kilometer östlich eines Brennpunktes aufgewachsen sind. Das Grüßen der falschen Person hatte daher unweigerlich ein "Eeeey!!!! Was labers tu misch an???" zur Folge. Traf man auf eine Gang wurde die Floskel von einem "Hastu mein Bruder angelabert????" ergänzt. Dann hieß es Blick auf den Boden und zügig weitergehen, um nicht ein herzhaftes "Aufs Maul, oder was?!" mit nachfolgender Tat zu riskieren.

Mein kleiner Bruder gewöhnte sich damals an mit "Isch bin ein Freund von dem Mitschiko. Ihr kennt den" zu antworten, was durchaus eine Verbesserung der Gesamtstimmung und ein joviales Schulterklopfen initiieren konnte. So risikofreudig war ich leider nicht, schließlich war es sehr unwahrscheinlich, dass ich brave Neubau-Maus eine "Freundin von dem Mitschiko" sein sollte - wer auch immer das war. Aufs Maul gab es übrigens nur zweimal, aber es hat eventuell einen Teil meines weiteren Grußverhaltens geprägt.

Regeln und Grenzen

Auch innerhalb unseres Neubaugebietes gab es Regeln und Grenzen. Bis zur nächsten Querstraße ging unser Hoheitsgebiet. Dahinter endete Grüßen zwar nicht mit Schlägen, dafür aber mehr als gelegentlich mit Missachtung. Auch innerhalb des eigenen Freundeskreises änderte sich die Gesetzeslage, wenn zum Beispiel Schulen gewechselt wurden oder die beste Freundin mittels Makeup und Schlagfertigkeit in höhere Coolnesskreise aufstieg.

Nach einigen Jahren stand ich dann völlig auf Kriegsfuß mit den Grußfuß, denn all das verwirrte mich total. Wo muss ich hingucken, wann muss ich mich in Acht nehmen, wie laut soll ich grüßen oder soll ich sicherheitshalber lieber gar nicht... 

Ich erinnere mich an eine Situation mit einer Klassenkameradin, die sich da weniger ins Bockshorn jagen ließ. Gemeinsam passierten wir - beide rothaarig - eine paar Jugendliche der benachbarten Schule und ernteten prompt ein "Leuchtturm!!!" Statt wie ich rot anzulaufen und ihrem Titel zusätzlich Ehre zu machen, schüttelte meine Bekannte die langen Haare und warf mit zuckersüße Stimme ein lachendes "Hallohooo!!!" zurück. Und was soll ich sagen: Die gesamte Gruppe grüßte begeistert und im gleichen Tonfall zurück. Ich war beeindruckt.

 Der richtige Weg

Mit dieser Art Selbstbewusstein bin ich bis heute nicht gesegnet. Äußerlich unbewegt stelle ich mir im Inneren immer noch die Frage nach dem richtigen Grußverhalten. Im Pädagogikstudium versuchte ich solchen zwischenmenschlichen Fallstricken auf die Spur zu kommen. Was soll ich sagen: In unserer Fakultät grüßte so gut wieder jeder - auch zurück. Kloppe gab es eher selten. 

Das führte dazu, dass ich irrtümlicherweise glaubte, mich auf dem richtigen Weg zu befinden, wenn ich einfach jeden mir bekannten Menschen freundlich grüße und gelegentlich sogar Fremde. Kopf hoch, Blickkontakt, gegebenenfalls sogar ein Lächeln und eine hörbare Grußformel. Klappte in meinem Job als Journalistin bei Kollegen und Interviewpartnern und im Privatleben bei Nachbarn, beim Bäcker und auf der Dorfstraße gleichermaßen.

Zurück in der Grußverwirrung

Fröhlich lief ich also mehrere unbelastete Jahre durch die Gegend und machte mir keine Gedanken mehr, bis ich mit Geburt meiner Tochter wieder in die Welt der Erziehungsinstitutionen eintauchte. Es begann in der Spielegruppe und ich befürchte, es wird im September nicht mit ihrer Einschulung enden: Die Grußlotterie dreht sich wieder. Manchmal schließe ich Wetten mit mir selber ab... Klar, übersieht man schon mal jemanden, wenn man sich angeregt in einer Gruppe unterhält. Außerdem hat man beim Bringen und Abholen in der Kita einiges zu tun: 

Die - übrigens immergrüßenden - Erzieherinnen für ein kurzes Gespräch gewinnen, Bilder und Kunstwerke bewundern, Handschuhe suchen, das Kind zur Eile antreiben, das schwarze Brett lesen, Verabredungen mit Müttern der Freundinnen treffen, abtrünnige Geschwisterkinder im Zaum halten... Trotzdem wundert man sich dann doch, wenn bekannte Menschen den eigenen freundlichen Gruß nicht erwidern, nur um sich begeistert auf die Mutter zu stürzen, die zwei Meter hinter einem geht. Ein "Hallo" trifft auf Stille, ein "Grüß Gott" auf ein schmalllippiges Nicken. Hab ich was im Gesicht???

Wenn ich meine Tochter von der Kita abgeholt habe, muss ich danach erstmal mein Ego suchen. Meist hat es sich derzeit im pinken Fäustling der Prinzessin zusammengerollt. Apropos Prinzessin: Meine Tochter grüßt prinzipiell gar nicht. Auch nicht zurück. Vielleicht sollte ich es ihr nachmachen und mich endlich mal wieder wichtigeren Dingen zuwenden.

Wenn ihr dazu eine Meinung habt - auch eine Gegenteilige - oder Erfahrungen beisteuern wollt, freue ich mich über Kommentare.

Mit den allerbesten Grüßen

Eure Nachbarin

PS: Das sagt übrigens Herr Knigge dazu: Wer sich kennt, sollte sich grüßen. Auch gegenüber Unbekannten ist ein Gruß durchaus zu empfehlen - zum Beispiel im Lift, beim Betreten eines Geschäftes (oder beim Aufhalten der Kindergartentür, Anm. der Redaktion). Dabei gilt die Regel: "Wer zuerst sieht, grüßt zuerst".

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